Filtern
Schlagworte
- Cervical vertebrae (1) (entfernen)
Es ist zu beobachten, dass trotz einer Abnahme der Zahl der Verletzungen und der Verletzungsschwere der Insassen bei Pkw-Unfällen Halswirbelsäulen (HWS)-Distorsionen, speziell im unteren Geschwindigkeitsbereich häufiger auftreten. Neben anderen Faktoren werden auch veränderte Beschleunigungs- und Verzögerungsimpulse, die im Crashfall auf die Insassen wirken, als möglicherweise ursächlich für die Entstehung von HWS-Distorsionen angesehen. In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, welchen Einfluss konstruktive Veränderungen, die durch Versicherungseinstufungstests bedingt werden, auf die Beschleunigungs- und Verzögerungsimpulse im Fahrzeuginnenraum haben. Versuche zum Fußgängerschutz wurden einvernehmlich nicht durchgeführt, da die Fahrzeuge noch nicht konsequent nach Fußgängerschutzkriterien konzipiert werden. Die Untersuchungsmethode lässt sich gliedern in: - Analyse von internationalen Versicherungssystemen und Analyse der aus den Versicherungseinstufungstests resultierenden Veränderungen von Fahrzeugstrukturen; - Durchführung und Analyse von eigenen Aufprallversuchen mit Fahrzeugteilstrukturen und vergleichende Analyse von Vollfahrzeugversuchen der Versicherungswirtschaft; Zusammenführen der getätigten Schritte. Bei der Ersteinstufung eines Pkw in die Vollversicherung dient der Versicherungseinstufungstest des RCAR/AZT (Prüfgeschwindigkeit 15 km/h) zur Bestimmung der Schadenshöhe und damit zur Einstufung in eine Typklasse. In vielen weiteren Staaten dienen dieser oder ähnliche Tests zur Bewertung der Reparaturfreundlichkeit von Pkw. Um bei einem Versicherungseinstufungstest den Schaden möglichst gering zu halten, haben nahezu alle Neufahrzeuge Querträgersysteme mit kostenarm wechselbaren Absorptionselementen, die die Crashenergie gezielt auf kurzem Weg aufnehmen. Durch die neu EG-Richtlinie 2003/102/EG zum Fußgängerschutz müssen zukünftig hinter der Stoßfängeraußenhaut und vor dem massiven Querträger weiche Schäume untergebracht werden. Der Bauraum für Querträger und Energieabsorptionselemente wird dadurch weiter eingeschränkt. Diese Anforderungen veranlassen die Hersteller dazu, die Energieabsorptionselemente steifer zu gestalten, um einen effektiven Energieabbau bei kurzen Stopplängen zu gewährleisten. Durch diese Maßnahmen wird zwar der Insassenschutz bei Frontalaufprallen im Hochgeschwindigkeitsbereich verbessert, es werden aber zugleich höhere Innenraumverzögerungen (schnellerer Anstieg, höhere mittlere Verzögerung) bei Crashs im gesamten Geschwindigkeitsbereich erzeugt. Eine durchgeführte Korrelation zwischen konstruktiven Veränderungen am Fahrzeug und empirisch bestimmten Verzögerungsverläufen zeigte, dass eine günstigere Einstufung in der Fahrzeugvollversicherung nicht zwangsläufig höhere Verzögerungsimpulse für den Innenraum bedingen muss. Bei der Analyse von 172 Crashversuchen des Allianz Zentrums für Technik mit Neufahrzeugen aus den Jahren 1992 bis 2003 zeichnen sich aber statistisch bedeutsame ßnderungen in den Verzögerungsverläufen über die Prüfjahre ab: - Anstieg der Verzögerung wird steiler; - Mittelwert der Verzögerung wird grösser; - Zeitdauer bis zum Auftreten der maximalen Verzögerung wird kürzer; - dynamische Gesamtdeformation wird kleiner. Die steife Auslegung der für den Versicherungseinstufungstest relevanten Crashteile verbessert den Insassenschutz bei Hochgeschwindigkeitscrashs. Wenn es sich aber durch weitere Untersuchungen bestätigt, dass höhere Verzögerungs- beziehungsweise Beschleunigungsimpulse die Auftretenswahrscheinlichkeit von HWS-Verletzungen im Niedriggeschwindigkeitsbereich vergrößern, so sollten gezielt Maßnahmen zur Verringerung dieser Verletzungsrisiken ergriffen werden. Dazu gehören die weitere Optimierung der Sitzstrukturen einschließlich der Kopfstützen und die Entwicklung adaptiver Crashstrukturen, die dem Crashfall angepasste Kraft-Weg-Kennlinien ermöglichen.